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Die Beziehung nach der Geburt

Beziehung nach der Geburt
Endlich ist der kleine Schatz da und das Glück scheint perfekt zu sein. Häufig bemerken frischgebackene Eltern jedoch, dass die neuen Herausforderungen und Veränderungen eine Beziehung auch belasten können. Unsere Expertin Dr. Isabella Heidinger (Autorin & Elterncoach) erklärt in einem Interview, warum es jetzt zu Konflikten kommen kann und wie es gelingt, die Paarbeziehung lebendig zu halten. 

Ein guter Start

  • babyclub.de: Die ersten Monate mit Baby sind nicht immer einfach, aber eine ganz besondere Zeit. Wie können Paare sie ganz bewusst genießen und damit auch ihre Beziehung stärken?
Isabella Heidinger: Ein Kind zu bekommen und es auf seinem Weg in die Welt zu begleiten, erfordert Hingabe. Das fängt bereits in der Schwangerschaft an: die werdende Mutter hat das, was jetzt mit ihr geschieht, nicht unter Kontrolle, daher lässt sie sich am besten von „der Welle mittragen“. Genau das sollten junge Eltern machen: offen und neugierig mit der Situation umgehen und sich auf das Neue einlassen. Es kann beispielsweise wunderschön sein, den Partner dabei zu beobachten, wie er – zusätzlich zu seinem „alten“ Ich, zum Vater oder zur Mutter wird. Viele Eltern berichten zudem, dass eine Art „Familiengefühl“ entstanden ist, was sie als sehr beglückend empfinden.

  • babyclub.de: Wie verändert ein Kind die Paarbeziehung?
Isabella Heidinger: Ein Kind ist eine große Entwicklungschance für die Eltern. Natürlich verändert sich dadurch die Paarkonstellation, aber: gemeinsam auf ein Drittes schauen verbindet. Und einem Menschen eine gute Kindheit und Jugend zu ermöglichen ist eine wundervolle Aufgabe und ein Abtenteuer. Eltern könnten sich sagen „wir möchten das zusammen erleben und es uns dabei auch selbst schön machen“. Also nicht nur auf das konzentrieren, was man alles „verloren“ hat. Natürlich klappt das nicht auf Anhieb, aber Perfektionismus und Kinderhaben passt sowieso nicht zusammen.

Beziehungsprobleme nach der Geburt

  • babyclub.de: Ein Kind gilt als Krönung der Liebe – dennoch kriselt es bei manchen Eltern nach der Geburt. Woran liegt das?
Isabella Heidinger: In dieser Lebensphase reagieren Menschen besonders sensibel darauf, wenn ihre Grundwerte angekratzt werden. Ein Beispiel: ich möchte, dass das Kind im eigenen Babybett schläft, mein Partner findet, es solle bei uns schlafen. Da macht es Sinn, zu schauen, welche Grundwerte hinter den unterschiedlichen Bedürfnissen stecken. Mir, die ich alleine schlafen möchte, ist Freiheit sehr wichtig – für mich, aber auch für das Kind. Meinem Partner hingegen Verbundenheit – er möchte dem Baby so viel Nähe wie möglich geben. Was ist nun besser – Freiheit oder Gemeinsamkeit? Beide sind zunächst positive Grundwerte, solange sie im Rahmen bleiben. In Streitsituationen passiert es jedoch häufig, dass diese Werte ins Extreme kippen: Aus dem Streben nach Freiheit wird Egoismus, Verbundenheit wird bis zur Selbstaufgabe gelebt. Und je heftiger der eine auf Verbundenheit pocht, desto mehr will der andere seine Autonomie retten und umgekehrt. Den meisten Konfliktsituationen, in die Eltern geraten können, liegen solche gegensätzlichen Wertepaare zugrunde. Sie sind ein sehr schönes „Denkbild“ um zu zeigen, dass nicht nur eine (meine) Perspektive berechtigt ist, sondern die des anderen ebenfalls.

  • babyclub.de: Was kann es bewirken, so mit Konflikten umzugehen?
Isabella Heidinger: Haben Paare die dem Konflikt zugrundeliegenden Werte identifiziert, kann allein das schon dazu führen, dass sich die Wogen wieder glätten. Dann sollten sie überlegen, wie jeder dem anderen entgegen kommen könnte: „ich werde darauf achten, mehr Freiraum zu geben“ oder „ich versuche, etwas mehr Nähe zuzulassen“. Jeder schaut sich also vom Partner das ab, was einem selber fehlt.

  • babyclub.de: Welche Verhaltensmuster frischgebackener Mütter und Väter tun der Beziehung nicht gut?
Isabella Heidinger: Wenn die Person, die sich mehr um das Kind kümmert – meistens die Mutter – meint, sie wüsste am besten, wie alles funktioniert. Sie wünscht sich zwar, dass ihr Partner mehr mitmacht, aber bitteschön so, wie sie es für richtig hält. Er bekommt so viele Ermahnungen und Verhaltensregeln, dass er die Lust oder den Mut verliert. Es gilt also: Jeder darf seinen eigenen, authentischen Stil im Umgang mit dem Kind entwickeln.

  • babyclub.de: Manche Männer klagen, ihre Frau sei nach der Geburt nicht mehr wiederzuerkennen …
Isabella Heidinger: Auch in diesem Fall ist meistens ein Grundwert in die Einseitigkeit gekippt: die Mutter gibt sich vollkommen dem Kind hin und taucht als Frau oder Partnerin gar nicht mehr auf. Sie könnte dann, wenn sie das merkt oder darauf hingewiesen wird, versuchen, ihren anderen Rollen wieder mehr Raum zu geben.

Leben mit Kind

  • babyclub.de: Viele Eltern haben sich das neue Leben mit Kind in schillernden Farben ausgemalt und stellen nun fest, dass es teilweise anstrengender ist als gedacht. Welche innere Haltung wäre hilfreich, die erste Zeit mit Baby (auch als Paar) gut durchzustehen?
Isabella Heidinger: Humor! Mit Humor können Paare fast jede Situation durchstehen. Denn er hilft, Abstand zu gewinnen und gelassener zu werden. Aber es gibt auch Phasen, in denen die Humorfähigkeit verloren geht, beispielsweise wenn einem alles zu viel geworden ist. Dann gilt es, wieder in eine bessere Verfassung zu kommen – sei es durch Ausschlafen dürfen oder durch eine kleine Auszeit vom Familienalltag.

Auch Großzügigkeit ist wichtig: nicht alles auf die Goldwaage legen und mit Fürsorge auf sich und die Familie schauen – was braucht jeder von uns jetzt, damit es uns gut geht? Und nicht vergessen: es ist nur eine Phase und die wird definitiv vorüber gehen. Wenn man weiß, dass in ein paar Wochen alles wieder anders ist, kann man großzügiger sein. Dieses Phasendenken ist sehr tröstlich – in jeder schwierigen Situation im Leben.

  • babyclub.de: Bei aller Freude am Kind leiden manche Mütter auch an einigen Aspekten ihres neuen Lebens (nur noch Baby und Haushalt), es entsteht ein Ungleichgewicht in der Paarbeziehung und das bietet Konfliktpotential.
Isabella Heidinger: Der Mutter hilft auch hier das Phasendenken. Und als Paar kann man gemeinsam Lösungen entwickeln und diese für eine gewisse Zeit ausprobieren, wie ein Pilotprojekt. Beispielsweise testen, wie es ist, wenn die Frau zweimal in der Woche abends weggeht und einen Kurs besucht. Nach einer gewissen Zeit werten beide aus, ob die Idee gut und machbar war. Wenn ja, schön, wenn nicht, suchen sie einen anderen Weg.

  • babyclub.de: Einige Väter wollen – nach einem anstrengenden Tag im Job – nicht auch noch Zuhause mit anpacken, sondern erst einmal entspannen. Die Mutter wünscht sich jedoch Entlastung am Abend, da ein ganzer Tag voller Babygeschrei & Co dringend etwas „Ich-Zeit“ erfordert. Was können diese Paare tun?
Isabella Heidinger: Paare könnten ausprobieren, wie es ist, wenn der Vater direkt nach der Arbeit eine halbe Stunde oder Stunde Zeit für sich bekommt. Denn tatsächlich kann nicht jeder, der müde und geschafft nachhause kommt, sofort auf Familienarbeit umschalten. Danach könnte er sich dann mit einbringen. So hat er nicht das Gefühl, ohne jede Unterbrechung den ganzen Tag bis in den Abend hinein „durchgetaktet“ zu sein und auch die Mutter weiß, dass sie noch etwas Zeit für sich bekommt. Sie kann auch schon tagsüber versuchen, sich zu entlasten. Ich zum Beispiel hatte einen Babysitter, der dreimal in der Woche nachmittags mit meiner Kleinen spazieren gegangen ist. Das hat mir wertvolle Zeit für mich geschenkt – kleine Inseln im Strom – und ich war am Abend nicht so gestresst und erschöpft. Das wiederum tat meiner Beziehung gut.

Paarzeit trotz Baby

  • babyclub.de: Wie können Paare es schaffen, mehr Verständnis füreinander aufzubringen?
Isabella Heidinger: Wirklich anerkennen, dass beide unterschiedlich sind. Jede Person macht es auf ihre Weise, verarbeitet es anders und fühlt sich anders. Auch Toleranz ist dabei wichtig. Und: Gedankenlesen gibt es nicht. Die Grundvoraussetzung für ein besseres Verständnis des anderen ist deshalb mit einander zu reden und einander zuzuhören.

  • Was können Eltern tun, um sich (als Paar) nicht aus den Augen zu verlieren?
Isabella Heidinger: Ganz wichtig: Jeder sollte auch auf sich achten, fürsorglich mit sich selbst sein. Die eigenen Bedürfnisse dürfen nicht komplett ignoriert werden, egal wie wenig Zeit man hat. Zum Beispiel könnte die Mutter, wenn das Baby schläft, ebenfalls schlafen oder etwas anderes für sich tun – anstatt jede freie Minute in den Haushalt zu investieren. Die Erfüllung der Bedürfnisse sollte natürlich flexibel an die jeweilige Situation angepasst werden, denn manchmal gibt es einfach Zeiten, in denen das Kind einen mehr braucht. Aber die ändern sich auch wieder.

  • Sex ist oft ein Riesenthema. Meistens ist die Frau längere Zeit nach Geburt (noch) nicht wieder bereit und der Mann entsprechend frustriert.
Isabella Heidinger: Hier hilft es, den anderen an seinen Beweggründen teilhaben zu lassen um sich gegenseitig besser zu verstehen. Vertrauensvolle Offenheit und Geduld sind gute Mittel der Wahl und man kann sich klarmachen, dass auch diese Phase vorbei gehen wird. Lustlosigkeit bedeutet keine generelle Ablehnung der Person. Druck auszuüben ist wenig hilfreich.

  • Eltern geben sich oft nur noch die Klinke in die Hand, da stets einer auf das Kind aufpassen muss, wenn der andere etwas erledigt oder einem Hobby nachgeht. Was tun gegen den Beziehungskiller Alltagstrott?
Isabella Heidinger: Mit Kind hat man nicht mehr automatisch Zeit füreinander – man muss sie sich schaffen. Hier helfen Rituale, also beispielsweise einmal im Monat etwas Schönes miteinander zu tun, zum Beispiel zusammen Essen gehen. Dieser Termin sollte fest vereinbart sein, sodass man nicht jedes Mal wieder neu diskutieren muss, ob er stattfinden kann. Denn die Beziehung hat ebenso Raum verdient wie Sport oder Hobbys. Ein Date so zu planen klingt zwar ein bisschen unromantisch, aber mit der Zeit freut man sich richtig darauf. Und wenn es nur zwei Stunden sind – die sind dann etwas ganz besonderes.

  • Worauf kann jeder achten, um nicht zu „alltäglich“ für den anderen zu werden?
Isabella Heidinger: Zuhause auch mal die Jogginghose ausziehen und sich so kleiden und pflegen, dass man sich selber und dem anderen gefällt. Das heißt nicht, dass man zuhause immer supergestylt herumlaufen muss, aber einfach darauf achten, sich nicht gehen zu lassen. Dass zeigt auch, dass man den anderen nicht für selbstverständlich nimmt und sich noch Mühe gibt, für ihn attraktiv zu sein. Dabei ist es auch wichtig, sich ab und zu mal klar zu machen, was für ein kostbarer Schatz es ist, einen Partner an der Seite zu haben!

SOS für die Liebe

  • Was können Eltern beim Streiten beachten?
Isabella Heidinger: Nicht mit Vorwürfen um sich werfen, sondern im Gespräch nach den vier „W“ vorgehen. Mit Wertschätzung beginnen, dann: Was habe ich wahrgenommen, wie hat es auf mich gewirkt und was wünsche ich mir, beispielsweise so: „Danke, dass du dir Zeit für das Gespräch nimmst. Ich höre, dass du am Wochenende mit deinen Freunden weg möchtest. Das macht mich traurig, weil mir die gemeinsame Familienzeit so kostbar ist. Ich wünsche mir, dass wir über die nächsten Wochenendpläne gemeinsam sprechen.“

  • Wann sollten sich Paare Hilfe holen?
Isabella Heidinger: Wenn sie merken, dass sich bestimmte Streit-Muster gebildet haben und sie sich gegenseitig einfach nicht mehr verstehen. Ich empfehle immer, bei Problemen lieber frühzeitig Hilfe zu holen und nicht erst dann, wenn die Beziehung schon zerrüttet ist.

  • Und wenn einer der beiden dazu nicht bereit ist?
Isabella Heidinger: Für viele ist der Gedanke, zum Psychologen oder zu einer Paartherapie zu gehen, komisch und fremd. Therapie ist für sie ein Reizwort, welches „Krankheit“ suggeriert. In dem Fall wäre eine gute Lösung, nicht zum Therapeuten zu gehen, sondern zu einem Mediator, einem Coach oder einem Berater oder zumindest ein moderiertes Gespräch zu führen.
Wenn beispielsweise der Mann keine Hilfe von außen annehmen möchte, könnte die Frau ihn bitten, sie wenigstens zu einem einzigen Termin zu begleiten, da ihr das sehr wichtig sei. Dort könne er dann schauen, ob das auch etwas für ihn wäre. Wenn nicht, muss man auch nicht nochmal hingehen. Also auch da hilft es wieder, die Situation in „essbare“ Happen einzuteilen.

  • Wo finden Eltern Hilfe?
Isabella Heidinger: Kostenlose Ehe-, Familien- und Lebensberatung bieten Caritas und Diakonie. Die Beratung ist offen für alle, unabhängig von Konfession, Weltanschauung oder Nationalität. Beratungsstellen gibt es deutschlandweit, auch online. Bei ProFamilia wird eine Paarberatung zu geringen Kosten angeboten – ebenfalls deutschlandweit und online. Des Weiteren gibt es zahlreiche Paarberater, Coaches und Paartherapeuten, die ihre Hilfe zu unterschiedlichen Preisen anbieten.

7 Beziehungstipps für Eltern

  1. Aufmerksam sein: sich bewusst begrüßen und verabschieden, einander zuhören und Interesse am Leben des anderen zeigen
  2. gemeinsam Pläne schmieden, beispielsweise für kleine „Inseln im Strom“
  3. wem es schwerfällt, Gesprächsthemen zu finden, die nichts mit dem Baby zu tun haben, kann sich im Alltag interessante Themen notieren und sie dann ansprechen
  4. sich auch mal als Paar loben: Das und das haben wir gut hinbekommen
  5. nichts und niemanden einfach für selbstverständlich halten
  6. Reden: über Erwartungen, Wünsche, Gefühle, Sorgen – Gedankenlesen gibt es nicht
  7. nicht alles alleine machen: Paare sollten sich Menschen suchen, die in einer ähnlichen Lebensphase sind. So können sie sich ein Netzwerk schaffen, welches sich gegenseitig unterstützt und den Alltag miteinander teilt.

Buchempfehlung

Wer mehr darüber lesen möchte, wie man die erste Zeit mit Baby gut durchstehen kann, sollte „Das Eltern-Kursbuch für eine entspannte Babyzeit“ von Dr. Isabella Heidinger lesen. Verlag: Gräfe und Unzer, ISBN-Nr. 978-3-8338-2830-0

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